VIPASSANA: WARUM ICH MIR ZWEI MAL 10 TAGE SCHWEIGEN ANGETAN HABE – UND WAS ES MIR GEBRACHT HAT

26.11.25 11:10 - Von Sabrina

10 Tage Stille, keine Medien, wenig Bewegung – nur Beobachtung – und warum ich trotzdem (oder deswegen) zurückgekehrt bin.

Stell dir vor: 10 Tage völlige Stille. Kein Handy. Kein Buch. Keine Musik. Kein Blickkontakt. Kein Sport. Kaum Bewegung. Nur du, dein Atem und dein Kopf, der am Anfang ungefähr durchweg schreit: „Was zur Hölle tue ich hier eigentlich?“Genau das ist Vipassana.


Ich durfte diese Art der Meditationserfahrung bereits zweimal machen – und jedes Mal hat sie mich absolut fasziniert, komplett herausgefordert und dann innerlich irgendwie wieder komplett neu aufgestellt. 

Vielleicht kennst du auch das Gefühl, ständig „on“ zu sein – im Training, im Job, im Alltag, im Kopf? Mir geht es jedenfalls sehr, sehr oft so. Und ich merke mittlerweile einfach immer mehr, wie sich das negativ auf mich und meine (mentale) Gesundheit auswirkt. 
Vipassana ist das komplette Gegenteil davon.

In diesem Artikel erzähle ich dir, was sich hinter dem Begriff "Vipassana" verbirgt, warum ich es mir freiwillig bereits zwei Mal "angetan" habe (und auch plane es nochmal zu tun! 😉) – und was du aus dieser Erfahrung für deinen sportlichen (und mentalen) Alltag mitnehmen kannst.

Vipassana in a Nutshell

10 Tage Schweigen.

Kein Handy, keine Bücher, kein Schreiben, kein Blickkontakt.

Meditation von 4:30 bis 21:00 Uhr.
Atem beobachten. Körper beobachten. Gedanken beobachten.
Ohne Ablenkung, ohne Ausreden, ohne Entertainment.


Intensiv. Herausfordernd. Seit über 2.500 Jahren unverändert.


Und genau deshalb wirkt es:
Du siehst klarer, reagierst bewusster und bist weniger Spielball deiner eigenen Gedanken und Gefühle.


Kurz: Ein kompletter Reset – von innen nach außen.

1. Was ist Vipassana überhaupt?

Vipassana ist eine der ältesten Meditationstechniken Indiens. Über 2500 Jahre alt, wiederentdeckt von Gotama, dem Buddha.

Das Wort bedeutet so viel wie: „Die Dinge sehen, wie sie wirklich sind.“ Klingt irgendwie recht simpel, oder? Ist es aber bei Weitem nicht – trotzdem: Stay with me!


Und um das auch gleich vorwegzunehmen: Vipassana ist kein Wellness-Retreat. Vipassana ist kein Erholungsurlaub. Vipassana ist jedoch viel Zeit mit sich selbst verbringen und beobachten. Es wird auch als "Selbstreinigung durch Selbstbeobachtung" bezeichnet.

Du beginnst in den ersten paar Tagen nur mit deinem Atem (Anapana) – nichts weiter, einfach nur atmen und wahrnehmen, atmen und wahrnehmen. Damit trainierst und schärfst du zunächst deinen Fokus.

Und dann wird es spannend: Ab Tag 4 kommt die eigentliche Vipassana-Technik dazu. Dabei beobachtest du deinen Körper Stück für Stück und nimmst deine Empfindungen wahr. Du siehst, wie alles ständig kommt und geht. 

Angenehme Empfindungen. Unangenehme Empfindungen. Unbeständigkeit. Freude. Schmerz. Trauer. Lachen. 

Und eben nicht nur als Theorie – nein, du erlebst es.


Ich habe bei beiden Vipassana Mediationen nach der Methode in der Tradition von S.N. Goenka gelernt, die mittlerweile weltweit gelehrt wird. Kein Mantra. Keine Musik. Ein paar Chantings hier und da und Instruktionen in der Gruppe durch Audio- und Videoaufnahmen von S. N. Goenka. Ansonsten nur pure (Selbst-)Beobachtung. Goenka nannte Vipassana „ein universelles Heilmittel für universelle Probleme“. Frei von Religion und Dogmen (jedoch offen für alle) – ein mentales Training, das jeder Mensch für sich anwenden kann.


Hier ist, was wirklich passiert:

  • 10 Stunden Meditation (im Sitzen) am Tag
  • 9 Tage Schweigen („Noble Silence“), danach wird wieder in der Gruppe kommuniziert (liebevoll von Goenka als "Noble Chattering" bezeichnet 🙃) 
  • Kein Handy, kein Buch, kein Schreiben (Keine Ablenkung durch Medien oder externen Einflüsse)
  • Strenge Trennung von Geschlechtern (es gibt immer eine Seite für Frauen, eine für Männer - auch hier gilt: Keine Ablenkung!)
  • 2 (max. 3, wenn du noch ganz neu dabei bist) einfache, vegetarische Mahlzeiten am Tag
  • Und ja – dein Rücken, deine Beine, deine Hüften... dein Körper wird dich durch das viele Sitzen erstmal verfluchen


Aber dann kommt das Entscheidende: Du lernst, eben genau darauf nicht zu reagieren


Schmerz kommt? Du bleibst sitzen. 

Gedanken kommen? Du bleibst sitzen. 

Es kribbelt, juckt, Hitze, Kälte und alles ist irgendwie unangenehm? Du bleibst sitzen. 


Und irgendwann verstehst du: Alles verändert sich – ständig . Dinge tauchen auf, verschwinden wieder, kommen zurück, lösen sich auf. Und du musst nicht jedes Mal sofort reagieren. Beobachten reicht. Manchmal auch aushalten. Manchmal einfach nur da sein.


Und das zu verstehen, das ist Vipassana  – am Ende schon irgendwie ein hartes Training für dich und deinen Geist.

Wie sieht so ein Tag beim Vipassana aus?

Der Tagesablauf (hier mal etwas kürzer gefasst, genauere Infos findest du auf der Vipassana Webseite) ist streng, aber unglaublich klar strukturiert – eben wie ein Trainingsplan für deinen Geist:


  • 04:00 Uhr: Gong. Aufstehen.
  • 04:30–06:30 Uhr: Erste Meditationseinheit – im Meditationssaal oder im eigenen Zimmer.
  • 06:30 Uhr: Einfaches Frühstück (rein vegetarisch, schweigend).
  • 08:00–11:00 Uhr: Geführte Gruppensitzung in der Halle (60'), danach stille Meditation in der Halle oder auf dem Zimmer.
  • 11:00 Uhr: Mittagessen – die letzte Mahlzeit des Tages (zumindest, wenn du bereits das 2. Mal dabei bist).
  • 13:00–17:00 Uhr: Weitere Meditationseinheiten inkl. einer Gruppensitzung (60')
  • 17:00 Uhr: Teezeit (für neue Teilnehmende Tee und Obst, für alte Schüler nur Tee).
  • 18:00–19:00 Uhr: Gruppensitzung – oft sehr intensiv, da man hier ab Tag 4 komplett still sitzen soll, ohne sich zu bewegen.
  • 19:00–20:15 Uhr: Abendvortrag von S.N. Goenka – voller Humor, Tiefe und Erdung.
  • 20:15–21:00 Uhr: Gruppensitzung in der Halle – s.o.
  • ab 21:00 Uhr: Zeit für Fragen an den/die Lehrer/in (in der Halle), danach Nachtruhe.

  • Jeder Tag wiederholt sich (fast) genau gleich – und genau das ist die Übung: Stille, Wiederholung, Beobachtung.

    Mit der Zeit verfeinert sich deine Wahrnehmung. Du bemerkst kleinste Körperempfindungen immer feiner und intensiver. Du siehst, wie auch Gedanken kommen und gehen – und irgendwann beginnst du, dich davon zu lösen. Dich immer wieder auf die Empfindungen zu konzentrieren.

    2. Warum ich das schon zweimal gemacht habe

    Wie alles begann: Neugier trifft Herausforderung

    Ich habe das erste Mal vor einigen Jahren von Vipassana gehört – über die Zwillingsschwester einer Freundin. Sie meinte nur: „Das war das Härteste, was ich je gemacht habe.“ Und natürlich war ich sofort angefixt. Wenn jemand sowas zu mir sagt, dann will ich natürlich wissen: Was ist daran so hart? Kann ich das auch schaffen?


    Also habe ich mich angemeldet – wieder und wieder, und musste zunächst auch wieder und wieder Absagen einstecken. Sehr frustrierend. Ein bisschen wie beim NYC Marathon, wenn man jahrelang nicht durchs Losverfahren kommt.


    Leider ist aber auch Vipassana mittlerweile so begehrt, dass die Plätze für Neueinsteiger (je nach Zentrum) sogar teilweise verlost werden und innerhalb kürzester Zeit die Wartelisten komplett gefüllt sind.  


    Im August 2022 habe ich dann endlich meine erste Zusage erhalten. Für den November-Kurs des selben Jahres. 

    Pure Neugier. Null Vorbereitung.

    ...so oder so ähnlich könnte man mein Ankommen im Zentrum beschreiben. 


    Ich bin ja manchmal leider schon so ein Typ: Einfach rein ins Abenteuer, ohne groß zu wissen, was mich eigentlich wirklich erwartet (siehe auch: Jakobsweg 😅). Ich wusste zwar grob, dass man da lange meditiert und viel sitzt, aber ganz ehrlich – ich hatte keine Ahnung, worum es dabei eigentlich geht.


    Und dann an Tag 4: Die Vipassana Technik selbst! Ich war echt mehr als verblüfft, dass es im Kern einfach "nur" ein Bodyscan ist. Ich hatte echt mit sonst was gerechnet. 


    Klingt alles recht unspektakulär? Dachte ich erst auch. Bis ich dort saß – zehn Stunden am Tag, schweigend, (fast) ohne Bewegung, ohne Ablenkung – und plötzlich jede Empfindung, jeden Muskel, jedes Gelenk und jede Emotion gespürt habe. 


    Und trotzdem ist da auch immer der "Monkey Mind", dieser kleine Affe im Kopf, der von Baum zu Baum hüpft, weiterhin jeden Tag – auch wenn er mit der Zeit dann zum Glück meistens etwas ruhiger wird.

    Der erste Kurs in Triebel – Intensiv & lehrreich

    Das erste Mal durfte ich Vipassana in Triebel in Deutschland (Dhamma Dvāra) erleben. Ich war leider zu dem Zeitpunkt echt angeschlagen, saß die ersten Tage mit einem Infekt und Maske im Meditationssaal. Musste sogar vor Ort noch einen COVID-Test machen, um sicher zu gehen. Hustend, angestrengt, unentspannt – und irgendwie doch heilend. Körperlich wie mental.


    Ich hatte damals einen Tag dabei, da hab ich nur geweint – aus Trauer, Schmerz, Überforderung, aber auch Freude. Irgendwie verrückt. 


    Und dann gab es einen Tag, da hab ich einfach nur gelacht (nicht laut, versteht sich), gefühlt die ganze Zeit. Tag 7 war damals mein Highlight, daran kann ich mich noch genau erinnern – so ein Moment, wo alles leicht war, ich mich gut konzentrieren konnte. Wo ich mich einfach so richtig im "Flow" fühlte.

    Das zweite Mal in der Schweiz – Ruhiger & bewusster

    Beim zweiten Mal war ich dann in der Schweiz (Dhamma Sumeru). Im August 2025. Da war es nochmal ganz anders. Alles hat sich ruhiger angefühlt. Kleiner. Entspannter. Ich wusste ja auch viel besser, was mich erwartet – und es war dennoch wieder herausfordernd. 


    Das Zentrum auf Mont Soleil (ich hatte mich echt schon auf die Sonne auf dem Berg gefreut, leider hatten wir dahingehend nicht so viel Glück) ist weitaus kleiner, nur etwa 70 Meditierende (in Deutschland waren es 120!), insgesamt eine viel, viel familiärere Atmosphäre.


    Und auch interessant: In Deutschland haben damals (gefühlt) super viele Leute abgebrochen, was man an den sich leerenden Matten bemerkt hat. In der Schweiz war es dahingehend gefühlt wesentlich stabiler und ruhiger.

    Warum Wiederholung (nicht nur) bei Vipassana so kraftvoll ist

    Das zweite Mal hat mir gezeigt, wie viel ich doch tatsächlich nach zweieinhalb Jahren bereits wieder vergessen hatte – von Goenkas Lehren, von der Praxis, von der Einfachheit dieser 10 Tage. Ich hatte zwar zwischendurch immer wieder mal meditiert (ja, theoretisch sollte man ja im Nachgang täglich zweimal je eine Stunde meditieren… sagen wir: der Wille war da), aber es war faszinierend, wie viel sich mit der Wiederholung neu gesetzt hat.


    Und das Timing war auch irgendwie perfekt: Übergang von Deutschland nach Frankreich, viele Veränderungen, viel im Kopf. Vipassana hat mir da geholfen, mich zu sortieren und Altes loszulassen. Ich hatte dieses Mal auch keine so großen emotionalen Schwankungen. Auch die Rückkehr in die „laute Welt“ war wesentlich leichter. Ich weiß noch sehr genau, wie mir nach dem ersten Kurs alles zu viel war – Geräusche, Gespräche, Menschen, der Leipziger Hbf... Jetzt, nach dem zweiten Mal war es doch irgendwie entspannter.


    Ein weiterer schöner Zufall: Der 10-Tage-Kurs fiel so, dass ich direkt einen Tag nach meiner Rückkehr aus dem Kurs meinen Geburtstag feiern durfte. Vipassana war daher eben auch ein schönes Geschenk an mich selbst. 


    Aber klar: Direkt aus der Stille rein in viele Nachrichten und Glückwünsche – das war schon trotzdem erstmal recht viel und ich habe mir entsprechend Zeit genommen, um alles Stück für Stück zu verarbeiten und lesen. Und eben nicht sofort zu reagieren.

    Warum ich es wieder tun möchte

    Ein Gedanke lässt mich allerdings schon seit dem ersten Kurs nicht mehr los: 


    In Triebel waren damals mehrere schwangere Frauen – sechs, wenn ich mich richtig erinnere. Und das hat mich total berührt. Da saßen sie, mitten in dieser Stille, so präsent, so verbunden mit sich und ihrem Baby.

    Und ich dachte nur: Was für ein Geschenk! Zehn Tage Ruhe. Zehn Tage ohne Ablenkung. Zehn Tage komplette Verbundenheit – etwas, das es in unserem Alltag so ja kaum gibt.


    Schon damals war für mich klar: Wenn ich irgendwann schwanger bin, möchte ich das auch erleben. Für mich – und für mein Baby.


    Vielleicht ist das dann sogar der stärkste Grund, warum ich nochmal Vipassana mitmachen möchte: 

    Diese besondere Zeit bewusst zu gestalten. Nochmal ganz bei mir zu sein. Und meinem zukünftigen Kind etwas mitzugeben, das es später in der lauten Welt nicht so schnell wiederfinden wird: Tiefe Ruhe, Entspannung und echte, ungestörte Nähe.

    3. Was du aus Vipassana für deinen Sport & Alltag mitnehmen kannst

    Vielleicht bist du ja jetzt auch auf den Geschmack gekommen? Hier sind ein paar Dinge, die du mit einer solchen Erfahrung vielleicht auch für dich mitnehmen kannst:


    1. MENTALE KRAFT UND AUSDAUER DURCH BEOBACHTUNG:
    Im Sport wie im Leben – du kannst nicht kontrollieren, was von außen auf dich zukommt, aber du kannst kontrollieren, wie du darauf reagierst. Vipassana trainiert genau das: Den Moment zwischen Reiz und Reaktion ganz bewusst wahrzunehmen.


    2. SCHMERZ IST NICHT GLEICH LEID:
    Beim Sport, in Yoga-Posen oder bei Verletzungen – Schmerz ist real. Leid entsteht erst, wenn wir uns dagegen wehren, denken „Ich will das nicht“. Vipassana zeigt dir, wie du den Unterschied wahrnimmst – und dadurch ruhiger, gelassener reagieren kannst.


    3. FOKUS & PRÄSENZ:
    Wer 10 Stunden am Tag seinen Atem und Körper beobachtet, weiß, was Konzentration und Körperwahrnehmung bedeutet. 

    Das wirkt sich direkt auf dein Training, deine Wettkämpfe und deine Regeneration aus.


    4. AKZEPTANZ & GELASSENHEIT:
    Manchmal läuft’s halt auch mal nicht. Vipassana (ebenso wie Yoga) lehrt dich, das anzunehmen, ohne dich selbst verrückt zu machen. 

    Eine Haltung, die im Sport Gold wert ist – besonders, wenn man ambitioniert trainiert und trotzdem nicht jeden Tag liefern kann.

    4. Meine wichtigste Learnings

    Vipassana ist kein Urlaub. Es ist Arbeit. Harte Arbeit an dir selbst.
    Und gleichzeitig ein großes Geschenk an dich selbst: Raus aus dem Lärm, raus aus der Dauerbeschallung.
    Etwas, das in unserer überstimulierenden Welt eigentlich jeder mal bräuchte.


    Was ich für mich aus diesen ersten beiden Erfahrungen mitgenommen habe:

    • Ich weiß jetzt, dass ich so einen 10-Tage-Kurs durchziehen kann – Disziplin und Durchhaltevermögen sind da. Und ja, es gibt sogar 20-, 30-, 45- und 60-Tage-Kurse… das wäre dann wohl die nächste echte Challenge.
    • Diese Art der Auszeit gibt meinem Körper und meinem Geist ein stabiles Fundament. Sie schafft Raum für Selbstreflexion – auch wenn der Weg dahin alles andere als leicht ist.
    • Ich habe außerdem gelernt: Ich kann wählen, wie ich auf das Außen reagiere. Ich muss nicht sofort handeln oder funktionieren. Ich darf einfach erstmal beobachten.


    Und genau da passiert letztendlich das Meiste:
    Wenn du einfach nur wahrnimmst, was gerade ist. Ohne Bewertung. Ohne Weglaufen. Einfach nur da sein und spüren.

    Hattest du selbst bereits ähnliche Erfahrungen? Oder bist neugierig auf Vipassana geworden? Lass es mich gern unten in den Kommentaren wissen.

    Sabrina